Präimplantationsdiagnostik
Anfang Juli diesen Jahres hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) sein Urteil zum
Rechtstreit bezüglich einer durchgeführten Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland
bekannt gegeben und damit einen weiteren deutlichen Schritt zur rechtlichen Klärung der
Präimplantationsdiagnostik eingeleitet.
Ein Berliner Kollege hatte im Jahr 2005 und 2006 in 3 Fällen nach Einholung eines juristischen
Gutachtens die PID bei 3 Paaren durchgeführt. In allen 3 Fällen hatte der männliche Partner
eine Chromosomenstörung in balancierter Form, die mit einem hohen Risiko für eine unbalancierte
Vererbung und einer daraus resultierenden schweren genetischen Störung bei den Nachkommen
einhergeht. Die Paare wünschten diese Untersuchung im Rahmen der künstlichen Befruchtung.
Dabei wurden einige Zellen ihres Embryos nach ca. 5 Tagen Kultivierung entnommen und einer
genetischen Untersuchung zugeführt. Nach Abschluss der Untersuchung wünschten sie keinen
Embryo mit einer unbalancierten Chromosomenstörung transferiert zu bekommen.
Der BGH hatte nach Revision der Staatsanwaltschaft zu klären, ob eine Vereinbarkeit oder ein
Verstoss gegen geltendes Recht, insbesondere gegen das Embryonenschutzgesetz (ESG) vorliegt.
Zuvor hatte das Berliner Landgericht bereits den Kollegen vom Vorwurf der missbräuchlichen
Anwendung der Fortpflanzungstechniken und der missbräuchlichen Verwendung menschlicher
Embryonen freigesprochen.
Der BGH hat den dargestellten Sachverhalt als keinen Verstoss gegen das ESG beurteilt.
Die Begründung des BGH in knapper Zusammenfassung lautet wie folgt:
Der BGH beurteilt die Vorgehensweise als vereinbar mit dem Vorsatz die IVF mit dem Ziel der
Herbeiführung einer Schwangerschaft durchzuführen. Das heißt, die Untersuchung begründet keine
Strafbarkeit nach mit §1 Abs 1 Nr 2, da der Handelnde das Ziel hat, eine Schwangerschaft zu be-
wirken. Die Tatsache, dass er die Schwangerschaft nur mit einem gesunden Embryo bewirken will,
ist dafür nicht relevant. Die Patienten wurden über das Ergebnis der Untersuchungen informiert und
haben sich entschieden, die chromosomal auffälligen Embryonen nicht übertragen zu bekommen.
Das liegt in der Autonomie der Patienten.
Die Durchführung der PID ist keine nach §2 Abs 1 strafbare Verwendung oder verbotenes Verwerfen
menschlicher Embryonen. Ein missbräuchliches Verwenden ist nicht zu sehen, denn es wurden nur
ca. 5 Zellen eines 40-80 Zell-Embryos verwendet. §2 Abs 1 bezieht sich insbesondere darauf, dass
der Embryo oder Zellen des Embryos nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke werden, oder zur
Embryonenforschung verwendet werden dürfen. Ausserdem sollte die Abspaltung totipotenter Zellen
zum Zweck der Diagnostik untersagt bleiben, insbesondere weil sich Schädigung des Embryos nicht
mit Sicherheit ausschliessen lässt. Der BGH hat nochmals darauf hingewiesen, dass die Untersuchung
von totipotenten Zellen eindeutig untersagt und mit Strafe bedroht ist.
Der BGH hat die Fragestellung auch aus dem historischen Hintergrund des ESG betrachtet:
Die Diagnostik an totipotenten Zellen sollte verboten sein, insbesondere unter der Befürchtung der
Schädigung der Zellen und der möglichen negativen Auswirkungen auf das Lebens eines Kindes nach
einer solchen Manipulation. Die Möglichkeit der Untersuchung an pluripotenten Zellen, wie bei der
Blastozystenbiopsie, bei denen eine Gefährdung nicht zu erwarten ist, hatte der Gesetzgeber seiner-
zeit nicht vor Augen. Bei den Trophoblastzellen handelt es sich um Zellen, die in einem weiteren
Stadium die Plazenta bilden und die sich bereits vom eigentlichen Embryo abgespalten haben. Dabei
wird der Embryo selbst nicht beeinträchtigt. Eine Ablehnung oder Billigung dieser Methode kann
seinerzeit also nicht im ESG verankert worden sein.
Im Weiteren heisst es in der Begründung, dass sehr wohl im ESG §3 normierte Ausnahmen für
besondere Konfliktlagen der Eltern, z. B. bei einer geschlechtsgebunden vererbten schweren Er-
krankung mit der Auswahl der Samenzellen verankert wurden. In den Beschlussempfehlungen und
weiteren Berichten zum ESG wird genau diese Konfliktsituation als ausnahmewürdig diskutiert. Der
BGH beurteilt, dass es sich in den vorliegenden Fällen um eine vergleichbare Konfliktsituation handelt.
Daher ist davon auszugehen, dass diese oben beschriebene PID nicht verboten worden wäre, wenn
sie schon technisch zur Verfügung und somit zur Diskussion gestanden hätte. Die Geschlechtswahl
wird sonst in §3 eindeutig verurteilt.
Der BGH betont jedoch die Gültigkeit der Entscheidung nur für schwerwiegende genetische Schäden.
Hier besteht nach der Rechtssprechung jedoch noch Klärungsbedarf: Welche Erkrankungen sind im
Sinne der Rechtssprechung als schwere genetische Störungen ein- bzw. ausgeschlossen? Unklar
bleibt ausserdem, ob es auch, wie im Gendiagnostikgesetz (GenDG) festgelegt (welches aber die
PID nicht beinhaltet), ebenfalls nicht erlaubt ist, Erkrankungen zu untersuchen, die erst nach dem
18. LJ auftreten. Darüber hinaus besteht hier insbesondere bei der Frage nach der Untersuchung
auf Aneuploidien bei erhöhtem mütterlichen Alter noch Klärungsbedarf.
Als Konsequenz aus der Entscheidung des BGH ergibt sich, dass genau diese Vorgehensweise,
nämlich die Blastozystenbiopsie und die Untersuchung von pluripotenten Trophoblastenzellen auf
schwere genetische Schäden hin, in Deutschland durchführbar ist.